Abdullah war ruhig. Als ich näher hinsah, sah ich, dass seine linke Hand ganz leicht zitterte. Während er ganz erstarrt auf dem Stuhl in der Polizeistation in Accra sass, war sein Atem ganz flach, die Haut auf seinem Gesicht war straff, seine Nacken- und Kiefermuskeln angespannt.
Der Polizeibeamte, der Abdullah befragte, war ein erfahrener Vernehmungsbeamter und ein Freund von mir. Ich sass ruhig im Büro und hörte der Befragung zu. Abdullah vermied jeglichen Augenkontakt und starrte auf den Boden hinunter. Die Fliegen, die es sich auf seinen Armen und seinem Nacken gemütlich machten, schienen ihn nicht zu irritieren. Seine Antworten waren emotional distanziert und kurz. Bei seiner Aussage zur erlittenen Säureattacke im Gesicht seiner Ehefrau, verübt durch junge Männer, war es für mich schwierig, irgendeine Selbstreflexion von Abdullah zu erkennen. Die Ehefrau war in lebensbedrohlichem Zustand ins Krankenhaus gebracht worden. Der Polizeibeamte fragte, ob sie Eheprobleme gehabt hatten, während er versuchte, mehr zum Vorfall herauszufinden. Er teilte mit Abdullah seine Absichten der Fragen und bot ihm eine Cola light an, damit dieser sich etwas entspannen konnte.
Während die Befragung weiterlief, bemerkte ich wie sanft mein Freund kommunizierte. Er machte eine einfache Zeichnung des Hauses, in welchem der Unfall stattfand. Damit ergründete er die Geschichte mit Hilfe von visuellen Hilfsmitteln um Druck aus der verbalen Kommunikation zu nehmen. Mit kleinem, ermutigendem Kopfnicken schaffte er eine Atmosphäre, die ergebnisfokussiert und respektvoll war.
Es war klar, dass Abdullah unter Schock stand und unter der vor 24 Stunden erlittenen Gewalt litt.
Ich begegnete dieser Geschichte als ich kürzlich mein Tagebuch durchstöberte.
Es stehen umfangreiche und wertvolle Ressourcen zum Thema Trauma und dessen Auswirkungen auf die Kommunikation zur Verfügung. Ich fokussiere mich auf die Kommunikation bei Befragungen, Gerichtsverfahren sowie ähnlichen Schauplätzen, bei welchen die Kommunikation in Institutionen mit klar definierten Rollen und Akteuren, die beauftragt und bemächtigt sind, stattfindet.
Es ist wichtig, sich den folgenden Faktoren, die unsere Kommunikationsprozesse beeinflussen, bewusst zu sein:
Viele (wenn nicht sogar die meisten) Personen mit Migrationshintergrund haben ein Traumata erlebt.
Viele (wenn nicht sogar die meisten) Personen, welche aus Ländern des afrikanischen Kontinents und des Mittleren Ostens, aber auch einige aus Osteuropa und Eurasien habe sehr wenig Vertrauen in die offiziellen Stellen und Positionen. Das Vertrauensniveau in Institutionen und Autoritätspersonen ist oft sehr tief.
Traumatische Gewalterfahrungen und der Verlust der Freiheit des Einzelnen passieren oft an verschiedenen Schauplätzen, aber mit den gleichen Akteuren (Polizei, Militärpersonal, Beamte etc.)
Bei vielen Migranten ist das Niveau der reflexiven und kommunikativen Kompetenz durch den Mangel an Zukunftsperspektiven und dem Verlust von Heimat und dem was ihnen lieb und teuer ist, gefährdet.
Durch eine traumatische Erfahrung werden Selbstverständnis sowie das Vertrauen in Andere und die Welt im Allgemeinen erschüttert. Betroffene bemühen sich, die überwältigenden und meist unverständlichen Erfahrungen zu begreifen und in ihren Lebensentwurf zu integrieren. Dies geschieht in einem Wechselspiel von Zulassen der Erinnerung und der kontrollierenden Abwehr (Fischer/Riedesser 1999).
Für die Kommunikation mit traumatisierten Menschen ist das Setting, der Auftrag, Machtverhältnisse, die Freiwilligkeit und natürlich die Vertrauensbasis entscheidend. Oft ist das Thema Trauma virulent, aber im Hintergrund wirksam. Die Herausforderung besteht darin zu erkennen, ob und wie Gewalterfahrungen und traumatisierende Erfahrungen im Jetzt eine Rolle spielen und die Kommunikation beeinflussen.
Wird das erlebte Trauma zum Thema (direkt oder indirekt) werden die Befragenden in ganz unterschiedlicher Weise damit konfrontiert:
Das erlebte Trauma wird aktiviert und die Erfahrungen werden in abgemilderter Form weitergegeben, weil die Emotionen beim Erzählen so heftig werden.
Das Trauma und in der Kommunikation auch indirekt betroffene Erzählungen werden emotionslos berichtet. Die Kommunikation wirkt teilnahmslos und gar kalt.
Das Trauma wird erzählt und die Erfahrung von Hilflosigkeit überträgt sich auf diese und andere Berichterstattungen. Es kommt zu einer «Hyper-Kommunikation» oder «Hyper-Emotionalisierung» um der Ohnmacht Gehör zu schaffen.
Die Kommunikation über emotional aufgeladene Erinnerungen geschieht bruchstückhaft und teils unverständlich. Auch relativ «einfache» Fragen führen zu teils verwirrenden, sprunghaften Aussagen.
Die innere Haltung ist entscheidend! Es geht darum, nicht zu viel aber auch nicht zu wenig zu fragen und möglichst wenig Druck zu erzeugen. Empfehlenswert ist, diese offene Haltung mit para- und nonverbalen Signalen zum Ausdruck zu bringen.
Ich schließe diesen Newsletter mit einer Zusammenstellung von Symptomen und Beobachtungen dazu, wie Traumata das Verhalten und die Kommunikation beeinflussen können. Diese Betrachtungen schreibe ich aus der Sicht einer traumatisierten Person.
Zwischenmenschlich / Sozial
1. Mächtiges Gefühl der Trennung.
Da ich mich in meiner eigenen Welt befinde, die vom Fight-Flight Modus geprägt ist, weiß ich nicht wie ich rüberkomme und kann den Standpunkt des anderen nicht begreifen. Ich bin nicht in der Lage, ihre Reaktionen vorherzusehen. Menschen könnten evtl. nicht verstehen was ich sage. Ich fühle mich so, als gehörte ich nicht zu ihrer Welt; was bedeutet, dass die Kommunikation eine große Distanz zu überwinden hat.
2. Unfähig, eine emotionale Beziehung herzustellen.
Ich fühle mich unfähig, eine Beziehung zum Gegenüber aufzubauen. Wir haben so wenig bis gar nichts gemeinsam. Ich habe Angst, dass die Kommunikation abgebrochen wird.
3. Mangelndes Durchsetzungsvermögen.
Wenn ich Symptome einer PTSD (Posttraumatischen Belastungsstörung) wie erlernte Hilflosigkeit, Schock, Taubheit, Apathie zeige, kann das bedeuten, dass ich wie ein Fußabtreter behandelt werde. Sich hilflos und machtlos zu fühlen, kann dazu führen, dass ich Probleme habe Gehör zu finden und meine Bedürfnisse erfolgreich erfüllt zu bekommen.
Aktivierung des Nervensystems – hoher Stresslevel in Gehirn und Körper
4. Überempfindlichkeit.
Ich bin extrem empfindlich auf den Tonfall und die Haltung der anderen Person. Wenn sie unhöflich ist oder nicht zuhört usw. - bringt das mich dazu, die Kommunikation beim geringsten Anlass abzubrechen. Ich reagiere stark auf Vertrauensbrüchen und wenn ich oder andere unter meinem/seinem Niveau behandelt.
5. Wut.
Meine Anfälligkeit für plötzliche, überwältigende Wut (die Kampfreaktion), ob ausgedrückt oder unterdrückt, kann dazu führen, dass die Kommunikation negativ endet - z. B. Streit, Abtrennen der Person, Verlassen.
6. Rigidität.
Wenn ich mich nicht von meiner Idee oder meiner Position abbringen lasse bezüglich dessen, was geschehen muss, kann dies den Fortschritt der Kommunikation behindern. Starr zu sein, wenn es um bestimmte Dinge geht, die mir wichtig sind, ist meine Art, jede Gefahr zu verhindern. Es ist meine Art, die Kontrolle zurückzugewinnen, die ich während des Traumas verloren habe.
Psychische Probleme
7. Schwierigkeiten damit, Informationen zu verarbeiten.
Manchmal kann es vorkommen, dass ich beim Zuhören und beim Sprechen den Überblick über eine Information verliere und daran erinnert werden muss, worum es sich bei all den Informationen handelt. Ich benötige einen Moment um wieder bei Ihnen zu sein und die Zusammenhänge zu erkennen. Es kann sein, dass ich während des Gesprächs nicht sofort zu einer Entscheidung kommen kann. Es kann sein, dass ich einige Dinge aufschreiben muss, damit ich nach dem Gespräch alles vollständig verarbeiten kann und mich dann mit meiner Entscheidung an Sie wenden kann. Es dauert seine Zeit, bis ich meine eigene Schlussfolgerung finde, nachdem ich viele Informationen erhalten habe.
8. Schwierigkeiten damit, Informationen zu organisieren.
Manchmal sage ich die Dinge nicht in der optimalen Reihenfolge, weil ich vor dem Sprechen nicht alles im Kopf organisiert habe. Manchmal bringe ich Dinge durcheinander, selbst wenn ich sie vor Beginn des Gesprächs organisiert habe. Wenn ich nervös bin, werde ich vielleicht durcheinandergebracht. Ich könnte vergessen, zuerst den Kontext und dann die Details zu nennen.
9. Mangelnde Konzentration und Fokussierung.
Ich kann von Dingen abgelenkt werden, während ich versuche, zu kommunizieren. Ich kann ablenkende Gedanken oder Gefühle erleben. Möglicherweise muss ich Sie bitten, mir noch einmal zu sagen, was Sie gerade gesagt haben.
10. Gedächtnisprobleme.
Manchmal verliere ich meinen Gedankengang und vergesse, was ich sagen wollte oder was meine Ziele waren, als ich mich auf den Weg der Kommunikation machte. Vielleicht muss ich etwas später zurückrufen, wenn ich mich an etwas Wichtiges erinnere, das ich sagen wollte.
Im nächsten Newsletter werde ich mich mit der Frage befassen, wie in Situationen zu reagieren ist, in welchen ein Trauma die Kommunikation stört.
Quellen:
Bohleber, W. (2003). Das Trauma und seine Bedeutung für das Verhältnis von Innerer und äusserer Realität in der Psychoanlayse.
Maercker, A. (2013). Therapie der posttraumatischen Belastungsstörungen. 4. Aufl. Berlin: Springer